Windkraftnutzung in Ergenzingen

 

„Höhe ist durch nichts ersetzbar, als durch mehr Höhe!“
Erwin Raible

Mittlerweile steht die Windkraftanlage auf Weitinger Gemarkung seit knapp 23 Jahren weithin sichtbar in guter Nachbarschaft zum Eckenweiler Wasserturm. Sie war damals neben den Windkraftanlagen auf dem Himmelberg in Melchingen, der Anlage auf dem Schuttberg, dem „Monte Scherbelino“ bei Stuttgart-Weilimdorf und den beiden Anlagen in Emmingen bei Oberjettingen die größte und mit 60 m Nabenhöhe vor allem die höchste Windkraftanlage in der Region.

 

Zur Windkraft gekommen bin ich 1988 bei meiner zweiten Urlaubreise überhaupt in Dänemark. Auf einem nahe gelegenen Hügel im heutigen Nationalpark Mols Bjerge, unweit von Århus im Osten Jütlands drehten sich damals zwei kleinere Windkraftanlagen unermüdlich im Wind. Die Faszination, aus Wind umweltfreundlichen sauberen Strom zu erzeugen, hatte mich umgehend gepackt und lässt mich seither nicht mehr los. Fortan ging es in diesem Urlaub fast ausschließlich darum, an irgendwelche Informationen zu Windkraft zu kommen, denn das Internet war damals fast noch ein Fremdwort und gab noch nicht wirklich etwas Greifbares her. Und selbst in Dänemark steckte die Windkraft noch in den Kinderschuhen und somit war kaum an Informationen heranzukommen und wenn überhaupt, dann in dänischer Sprache.

 

Zurück aus Dänemark hatte ich bereits den Entschluss gefasst, wenn wirtschaftlich möglich eine Windkraftanlage in Ergenzingen zu realisieren. Es vergingen einige Jahre mit dem Sammeln von Wissen und Erfahrungen zum Bau und Betrieb von Windkraftanlagen. Im Jahre 1993 konnte ich dann zusammen mit anderen, eine erste eigene Windkraftanlage in Schleswig-Holstein errichten und in Betrieb nehmen. Nach sorgfältigem Studium des Windaufkommens und der Technik war es Ende 1995 dann soweit, der Antrag auf Bauvorbescheid für eine Windkraftanlage im Gewann „Öhmdhalde“ in Ergenzingen wurde eingereicht. Noch im Dezember 1995 lehnte der Ortschaftsrat Ergenzingen das Projekt mit „vier“ Enthaltungen ab, Zustimmungen gab es keine einzige. Aber es sollte noch besser kommen, der damalige Baubürgermeister Holger Keppel legte den Antrag dem Rottenburger Bauausschuss erst gar nicht vor. Und auch meinem im Sommer 2020 gestellten Antrag im Gemeinderat zur Standortevaluierung für die Windkraftnutzung in Rottenburg stimmte der Gemeinderat mehrheitlich nicht zu.

 

Aufgeben war nach der Niederlage in Ergenzingen für mich allerdings keine Option! Zusammen mit anderen Interessierten an der Windkraftnutzung wurde 1996 kurzerhand im Sportheim in Ergenzingen für den Interessenverband Windkraft Binnenland e.V. die Landesgruppe Baden-Württemberg gegründet, welcher dann später mit dem Bundesverband Windkraft e.V. Baden-Württemberg vereinigt wurde. Und so wurde Ergenzingen ganz nebenbei zu einer wichtigen Keimzelle der Windkraftnutzung in Baden Württemberg. Im Jahr 1998 konnte ich dann ein Planungs- und Vertriebsbüro mit einem angegliedertem Servicepartner für einen Windkraftanlagenhersteller in Ergenzingen realisieren, welches noch heute, wenn auch etwas kleiner, in Ammerbuch-Pfäffingen tätig ist. Bei gut einem Dutzend Windkraft-, PV- und Biogasanlagenprojekten trage ich bis heute als Geschäftsführer die Verantwortung oder bin Projektteilhaber. Besonderes Highlight war dabei die Planung eines Windparks bei Kapstadt in Südafrika. Dieser konnte aber leider aufgrund der damaligen politischen Lage nicht umgesetzt werden. Aus dieser damaligen Initiative konnten somit bis heute mehrere hundert Windkraftanlagen von Koblenz bis Wien errichtet werden, bei denen ich in verschiedensten Funktionen mitwirken konnte.

 

Noch im Dez. 1995 begannen dann, nachdem die ersten Gespräche mit den Verantwortlichen in Weitingen und Eutingen die Windmessungen für einen weiteren Versuch eine Windkraftanlage im „Oberen Gäu“ zu errichten. Im März 1997 folgte dann der Antrag auf Baugenehmigung, welcher im September 1997 nach einem sehr konstruktiven Miteinander vom zuständigen Bauamt in Horb positiv beschieden wurde. Mit der Verstärkung durch Richard Schwarz aus Bondorf ging es dann an die Realisierung. Mehrere Informationsveranstaltungen folgten um den Wissensdurst der Bevölkerung zu stillen und um Interessierten das Projekt näherbringen zu können. Ein Beteiligungsprospekt, der alles für die Umsetzung wichtige wiedergab und regelte, wurde ebenfalls erstellt.
 Daraus entstand dann in kurzer Zeit die aus 33 Bürgern aus der Region bestehende Betreibergesellschaft. Am 24. August 1998 konnte nach viel Vorarbeit für die Realisierung und der Finanzierung  der Spatenstich erfolgen und schon am 06. Oktober rollten die Schwertransporte aus Give und Kolding in Dänemark (Maschinenhaus, Rotorblätter) und aus Dietzhölztal in Hessen (Turm) über die Autobahn herkommend frühmorgens durch Ergenzingen nach Weitingen. Pünktlich zur Inbetriebnahme am 15. Oktober blähte dann auch das Sturmtief „Xyilia“ seine Backen auf und mittlerweile konnten mit Hilfe des Windes ca. 10 Mio. kWh Windstrom erzeugt und in die Stromleitung von Weitingen kommend nach Ergenzingen und weiter in Richtung Oberjettingen führend eingespeist werden. Seit diesem Jahr erfolgt keine Stromvergütung mehr nach dem „Erneuerbaren Energien Gesetz“ (EEG). Mit der Fa. „cells energy“ (
https://marktplatz.cells.energy) aus Kempten im Allgäu haben wir einen Partner gefunden, mit dem wir rechtsicher unseren Strom direkt an Endkunden und den überschüssigen Strom an der Leipziger Strombörse verkaufen können. Unser Ziel ist es neben den bisher ca. 30 Stromkunden deutschlandweit weitere Kunden vor allem hier in der Region zu finden, die ihren Strom direkt von unserer Windkraftanlage beziehen. In Gemeinschaft mit einer der beiden Biogasanlagen in Ergenzingen können wir somit eine 100 % Versorgung gewährleisten. Aber auch in dem sehr unwahrscheinlichen Fall, dass beide Anlagen nicht genügend Strom produzieren, halten weitere Anlagen im Hintergrund die Versorgung aufrecht.

 

Abschließend die Frage, sollte die Windkraft weiterhin in Rottenburg genutzt werden beantworte ich mit einem klaren „Ja“. Zusammen mit den vorhandenen Wasserkraft-, PV- und Biogasanlagen wäre es möglich, Rottenburg gänzlich und wirtschaftlich mit erneuerbarem Strom zu versorgen. Dazu wären nach meinen überschlägigen Berechnungen 5 bis max. 8 moderne für die Nutzung im Binnenland optimierte Windkraftanlagen verteilt auf dem Gebiet der Stadt Rottenburg notwendig. Mit den heute verfügbaren Anlagen mit Nabenhöhen von 120 bis 140 m und einer Rotorkreisfläche um die 20.000 m² könnte eine solche moderne Windkraftanlage rund 8 – 10 Mio. kWh Strom pro Jahr bei guter Standortwahl produzieren.