Ausgabe 5/1997  „Die Milch der Kuh Argozinga  wird in Rottenburg entrahmt
Ausgabe 5/1997 „Die Milch der Kuh Argozinga wird in Rottenburg entrahmt

 

Ergenzingen danach -  blühender Gewerbestandort oder Milchkuh von Rottenburg?

 

Nach den Grundsätzen der Gemeindereform der Landesregierung BW zu Beginn der 1970er Jahre sollte eine Gemeinde mindestens 2000 Einwohner haben, um die anstehenden Aufgaben erfüllen zu können.
Ergenzingen hatte zu Beginn der 1970er Jahre ca. 2500 Einwohner und erfüllte somit diese Bedingung.
Heute gibt es in Baden-Württemberg noch 73 selbstständige Gemeinden  mit weniger als 1000 Einwohnern, die kleinste selbstständige Gemeinde ist Böllen (Lkrs. Lörrach) mit ca. 100 Einwohnern.

 

Warum hat sich ein so großer Ort damals eingemeinden lassen?

 

Als 1974 die Autobahn A81 freigegeben wurde, erfolgte in Ergenzingen ein Wandel:
Als einziger Ortsteil von Rottenburg liegt Ergenzingen direkt an der Autobahn und wurde zu einem sehr gefragten Wohn- und Gewerbeort, erfüllt der Ort doch durch diese Lage hervorragende Kriterien zur Ansiedlung.

 

Und langsam aber stetig begann sich in Ergenzingen Unzufriedenheit mit dem Status der Eingemeindung breit zu machen. Immer mehr wurde erkannt, wie wenig Entscheidungsfreiheit der Ort hat, wie sehr Ergenzingen durch die 15km weit entfernte Kernstadt Rottenburg fremdbestimmt ist und dass hohe Beträge von Gewerbesteuern nach Rottenburg fließen und nur ein kleiner Teil davon an Investitionen zurückkommt.

In der Sitzung des Ortschaftsrats am 28.4.1994 brachte Reinhold Fleiner (Fraktion Freie Ergenzinger ) den Antrag auf Ausgemeindung von Ergenzingen  aus der Stadt Rottenburg a.N. ein
(namentliche Abstimmung der 12 Ortschaftsräte und Ortsvorsteher Robert Vater):

 

Beschluss

 

Der Ortschaftsrat stimmt dem Antrag der Freien Ergenzinger zu, d.h. der Ortschaftsrat beschließt die Absichtserklärung für die Ausgemeindung von Rottenburg.

 

 Situation in Baden-Württemberg

 

Ergenzingen war nicht der einzige Ort, in dem sich Stimmen gegen die Eingemeindung erhoben:

 

1993 schlossen sich mehrere Dutzend Ortsteile aus Baden-Württemberg zusammen und gründeten den Landesverband zur Korrektur der Kommunalreform. Ihr Ziel: die Ausgemeindung, um wieder die Selbständigkeit zu erlangen.  Der Landesverband bekam von der damaligen Oppositionsfraktion der Grünen im Landtag Unterstützung:
1994 brachten  sie den Gesetzesentwurf zum Recht auf Loslösung, Neugliederung und Zusammenschluss von Gemeinden ein.


                                                            Situation in Bayern

In Bayern wurde die Rechtsgrundlage geändert: 1993 wurde durch das Gesetz zur Änderung der Gliederung von Gemeinden und Verwaltungsgemeinschaften die Ausgliederung von Gemeinden wieder möglich, was zur Folge hatte, dass Gemeinden wieder selbstständig wurden (z.B. die Gemeinde Baar LKrs Augsburg mit 1200 Einwohnern).

 

Bürgerinitiative Selbstständiges Ergenzingen e.V.

 

Am 1.2.1995 war die Gründungsversammlung der Bürgerinitiative Selbstständiges Ergenzingen e.V. mit dem Ziel der Wiederherstellung der Selbstständigkeit von Ergenzingen. 

Die Initiatoren waren die beiden Kommunalpolitiker Lothar Gugel und Kurt Stopper.
Gewählt wurden

Vorstand:   Reinhold Renz, Renate Holzmann, Gerd Hirschmüller, Manfred Jänigen
Schriftführerin:    Petra Schrammar-Bente
Kassiererin:         Thea Stopper
Beirat:         Karl-Josef Baur, Reinhold Baur, Willi Breuling, Reinhold Fleiner,
                    Hans Heumesser ,Hubert Nisch, Günter Schweinbenz

Kassenprüfer :    Anton Birmili, Vinzenz Pekari.

Im gleichen Jahr wird die BI Mitglied im Landesverband;
398 Ergenzinger Bürgerinnen und Bürger sind Mitglied der BI.

 

Die Aktivitäten der BI waren bis in die 2000er Jahre sehr umfangreich:

 

  • ·      Versammlungen des Landesverbands in Ergenzingen
  • ·       Podiumsgespräche mit Landtagsabgeordneten
  • ·       Regelmäßige Informationen im städtischen Amtsblatt
  • ·       Herausgabe eigener Informationsschriften
  • ·       Ausstellungen

 ·    Die BI war Thema der Staatsexamensarbeit :
Die kommunale Gebietsreform in Baden-Württemberg und Versuche ihrer Korrektur am Beispiel Ergenzingen (
A. Veill, Universität Tübingen, 2000)

·     Die BI erscheint im Buch: Persilschein, Käferkauf und Abschlachtprämie – ein Buchprojekt des Landkreises Tübingen 1998

 

UND DENNOCH…

 Im Gegensatz zu Bayern war eine Ausgliederung in Baden-Württemberg nicht möglich. Die Landesregierung sah keine entsprechende Gesetzesänderung vor, selbst wenn der Gemeinderat der Stadt einer Ausgliederung zugestimmt hätte.

Stimmen der BI-Initiatoren und als Gäu-Rebellen bekannt gewordenen Kommunalpolitiker Lothar Gugel und Kurt Stopper in einem Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten 23.11.2012:

 "Es wurden massiv Ängste geschürt.
Da wurde behauptet, die Leute könnten nicht mehr in die Tübinger Kliniken, wenn wir uns nicht nach Rottenburg orientieren, das war natürlich totaler Quatsch."

 "Jetzt sind wir das 17. Rad am Wagen."

 

"Wir waren Rebellen. Die Überlegungen zur Loslösung von Rottenburg sind allerdings im Sande verlaufen.“

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